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Adrenalin

Sie stand auf der Terrasse des Hotels und lehnte sich auf die Verandabrüstung. Ihr Blick schweifte über das abendliche Rom, genauer gesagt über Ostrom, den Teil der Stadt, in den man sich abends ohne genaue Ortskenntnisse besser nicht wagte. Sieben Hügel und genausoviele Täler, in denen sich der Abschaum der Gesellschaft sammelte. Bei diesem Bild musste sie an eine Wasserfläche denken, die mit Schaum bedeckt war. Schmutzigem Schaum, der ein kleines Tal ausfüllte. Eine Talentwässerung, sie dachte dabei an eine rauschende Toilettenspülung, das wäre sicher eine Lösung des Schmutzproblems.

Sie schüttelte den Kopf, um diese Gedanken los zu werden. "Öffnet die Schleusen, rettet Rom!" Sie spülte diesen abscheulichen Politikersatz mit einem großen Schluck warmen Camparis hinunter. Ah, wie schön die Sterne leuchten würden, könnte man sie durch diesen Abgasschleier nur vernünftig sehen. Sie suchte den Himmel ab. Da, der große Wagen. Sie musste an den Kleinbus denken, der sie vom Flughafen zum Hotel gebracht hatte. In einem Höllentempo war Ernesto, der römische Busschaffeur, durch die schmalen Straßen gerast. Dass kein Unfall passiert war, das war wahrlich ein katholisches Wunder. Aber sie war rechtzeitig zum Pressessen dagewesen und hatte trotz oder vielleicht wegen des Angstschweißes ein gutes Trinkgeld gegeben. Adrenalin war für sie immer schon eine gute Droge, nach der sie immer wieder trachtete, die ihr Lust verschaffte.

Sie stellte das Glas Campari auf die Brüstung, schwang ein Bein hoch und zog sich nach oben. Nun saß sie auf der Verandabrüstung und ließ die Beine nach unten baumeln. Sie dachte an damals, als sie mit ihrer besten Freundin Cora im Schulzentrum Citaverde kurz vor dem Abschluss gestanden hatte. Sie waren einen Abend zum Shopppen ausgegangen. Cora hatte die Visa Karte ihres Vaters bei sich und sie haben sich die beste Boutique ausgesucht. Ein Kleid nach dem anderen wurde probiert und sie hatten gelacht und sich königlich amüsiert. Dann wollte Cora bezahlen. Die Karte war gesperrt und bevor sie etwas erklären konnten war die Policia da. Sie wurden auf das evier gebracht und behandelt als wären sie Schwerverbrecher. Als sie zu den Prostituierten in die Zelle mussten, pochte ihr Adrenalin voll hoch. Erst nach zwei Stunden war der Vater von Cora im Revier aufgetaucht und hatte das Problem mit der unbezahlten Visagebühr aufgeklärt. Sie glaubte noch heute, dass das eine absichtliche Strafaktion gegen Cora war. Aber der Kick war unglaublich.

Sie nahm den letzten Schluck Campari, warf den Kopf in den Nacken und verlor dabei den Halt. Ihr Körper kippte über das Geländer. Sie nahm alles in Zeitlupe wahr, das langsame Neigen des Oberkörpers, die nach halt suchende Hand, das Straucheln des Beines, das sich im Geländer zu verhaken suchte. Sie spürte ihr Adrenalin steigen. Der Pegel war hoch, sehr hoch, daher spürte sie keine Schmerz. Nicht als sie sich am Geländer stieß, nicht als sie an der Mauer scharrte, nicht als sie unten aufprallte. Sie rollte noch eine halbe Umdrehung, dann blieb sie regungslos liegen.

Über ihr erschien ein Gesicht. Es war verschwommen und es bewegte sich.
"Hallo! Hallo! Kommen sie zu sich! Sie müssen aufpassen, sie hätten sich verletzen können. Das sind immerhin einen Meterundfünfzig bis dort oben und das Gras ist hart im Sommer."
Ihr Blick wurde wieder scharf und sie lächelte - soviel Adrenalin und ganz oben am Himmel konnte sie den großen Wagen sehen.


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