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Marie
Mike wälzte sich herunter. Erschöpft atmete er tief durch. Dann
stand er auf und betrat das Badezimmer. Er duschte immer nach dem Sex. Schon
dampfte die Kabine wohlig warm und er stellte sich in den heißen Regen. Seine
Hände fuhren über seinen Körper, spürten die Muskeln und weiter unten wusch er
seinen nassen Gnom. Dabei schweiften seine Gedanken ab.
Marie, ja sie war
wunderbar. Seit wie langer Zeit waren sie ein Paar - nein, eigentlich kein Paar,
eher ein Verhältnis - seit mehr als zwei Jahren. Ja, sie trafen sich fast
regelmäßig im Zwei-Wochen-Rhythmus und genossen dann eine ruchlose Nacht
zusammen. Der Sex war phantastisch, wenn Marie ihn verwöhnte empfand er seine
Hüften flammend entbrannt. Dabei war er nicht schüchtern noch war sie die
einzige Frau in seinem Leben. Bisher nicht. Marie fragte oft nach ihrer
gemeinsamen Zukunft, nach einer Möglichkeit des Zusammenlebens. Er wusch sich
die Haare mit dem Zitronen-Ingwer-Duschgel, das das Hotel in der Dusche im
billigen Plastik-Quetschspender anbot. Er hatte Marie immer vertröstet, ihr
erklärt, er wäre kein Familienmensch, keiner der den Baum pflanzt, ein Haus in
heimatliche Gestade setzt und eine Zucht für Teppichratten eröffnet. Es sollte
witzig klingen, doch Marie hatte nie gelächelt, als er ihr diese Erklärung gab.
Manchmal sah er dabei in ihre Augen und hätte er es zugelassen, so hätte er wohl
die Traurigkeit ihrer Sehnsucht erkannt. Doch er war hart geblieben, bis - ja
bis vor Kurzem. Irgendwie war es, als hätte ihn Gottes Odem gestreift. Er
trocknete sich mit einem weißen, nach Industriewaschmittel riechenden
Frotteehandtuch ab. Er hatte plötzlich erkannt, dass er eigentlich gefunden
hatte, was seine ruhelose Suche nach mehr zu finden suchte. Marie. Ja, er wollte
sie, die zarte verletzliche Frau, die so viel Gefühl hatte. Und jetzt würde er
ihr sagen, dass er mehr für sie empfand, als nur Lust, dass er mehr wollte, als
nur 14-tägigen Sex. Er formulierte seine Sätze im Kopf, als er aus dem
Badezimmer trat.
"Marie, Liebes, ich möchte Dir etwas sagen." Froh, dass sie
nicht gleich mit Fragen anfing, redete er weiter zu dem aus den Kissen
quellenden Haarknäuel. Wunderschöne Haare: Nußbraun, schulterlang und leicht
gewellt. "Marie, ich habe mir überlegt, dass wir es anders machen sollten. Ich
habe mehr Gefühle für dich, als ich dir bisher gesagt habe. Ich - na ja, wie
soll ich es ausdrücken. Ich fühle eben mehr. Ja, ich - ", er kratzte sich an der
Hüfte, "ich denke, wir sollten uns öfter sehen und eventuell ..." Es war schwer
für ihn, denn nun wollte er ihr ihre Sehnsucht erfüllen und seine Freiheit
aufgeben, "eventuell mit dir zusammen leben. Was hältst du davon?" Marie
schwieg, sie hatte sich nicht bewegt und er setzte sich neben sie auf das Bett.
War sie eingeschlafen? Er blickte auf ihr Haar, dann auf den Nachttisch. Seine
Augen fokussierten plötzlich auf der dort liegenden Plastikverpackung. Er nahm
das leere Röhrchen in die Hand und las "Nocturnoval forte - Medikament zur
Beseitung von Schlafstörungen - Rezeptpflichtig". Die Packung war leer. Panik
stieg in ihm hoch, er packte Marie an den Schultern und hob ihren schlaffen
Oberkörper hoch. Er konnte sie gar nicht erst in eine sitzende Position bringen,
da sie sofort wieder in sich zusammensank. Sein Griff ging zu ihrem Handgelenk,
doch er konnte keinen Puls fühlen.
Er riss den Telefonhörer an sein Ohr und
während er den Notruf wählte, las er den handgeschriebenen Zettel, der auf dem
Nachttisch lag: "Ich kann nicht mehr warten. Ich kann nicht ohne Dich Leben.
Lieber gehe ich jetzt, als diesen Zustand noch länger zu ertragen. Verzeih mir!
In Liebe - Marie"
© A. Lindermeir
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