» Alpenglühen für die Ewigkeit
Alpenglühen für die Ewigkeit
Sie glühten in wunderbarem Rot, die Gipfel der Berge um ihn herum. Es
war das allseits bekannte Alpenglühen, das ihn die letzten Jahre
begleitet hatte, das er sich morgens oder abends vor der Almhütte
sitzend ansah, bis sich auch das letzte Bisschen Rot in der Sonne oder
der Dunkelheit verloren hatte. Im Sommer pflückte er dabei trotz seines
leichten Heuschnupfens immer ein Vergissmeinnicht ab und steckte den
Stiel in den Mund. So war der Blütenduft besonders intensiv und er
konnte in seinen Erinnerungen schwelgen.
In denen an die guten Zeiten, als er hier in den Bergen lebte, wo die
Menschen fröhlicher Natur waren. So fröhlich, dass sie zur Erheiterung
eine eigene Tierart kreierten, die sie den Touristen als echt
verkauften. Sie erzählten den unbedarften Nordlichtern vom
Wolpertinger, einer Mischung aus verschiedenen Alpentieren. "Er hat ein
Rehgeweih, ist groß wie ein Hase, hat den Schwanz eines Fuchses und
wenn man ihn sehen wolle, müsse man bereits um fünf Uhr früh auf die
Pirsch gehen."
In denen an die schlechten Zeiten, als er damals zur See gefahren war.
Sie hatten angelegt, als das Stundenglas 12 Uhr gezeigt hatte.
Mitternacht. Er sollte das Schiff vertäuen und bemühte sich das schwere
Tau über den Poller zu werfen. Doch der Mastwurf misslang ihm gründlich
und schon bewegte sich das Schiff wieder weg vom Kai. Er sah die
Katastrophe kommen, dann plötzlich stand die Zeit still.
Nein, es war kein persönlicher Eindruck von ihm, dass die Welt um ihn
herum still stand. Es war Wirklichkeit. Er blickte um sich, dann
entdeckte er die einzige Bewegung in dieser gefrorenen Welt. Ein dunkel
gekleideter Mann, elegant und gutaussehend, ging gemessenen Schrittes
auf ihn zu und sprach ihn an: "Eduard, sei mir gegrüßt. Hm, das sieht
nicht gut aus, das Schiff wird gleich gegen das andere Schiff stoßen
und dann wird es viel Ärger geben. Womöglich wird dich der Kapitän
kielholen lassen. Das wäre schmerzhaft bis tödlich." Eduard war bleich
und starrte den Fremden nur an. Er konnte nichts sagen, nur stumm
zuhören.
"Eduard, das möchtest du sicher nicht. Hör mich an, ich habe einen
Vorschlag für dich. Das hier passiert nicht, dafür sorge ich. Und
zusätzlich dazu werde ich dir einen Menschheitstraum erfüllen, du wirst
von mir ewiges Leben bekommen. Das klingt doch gut, oder?" Eduard sah
zu dem fremden Mann und blinzelte, dann nickte er, denn die Aussicht
auf ewiges Leben statt Kielholen gefiel ihm durchaus. Die Möglichkeiten
wären gewaltig, auch wenn sein Gegenüber wohl der Teufel war.
"Eduard, aber eines möchte ich dafür. Nur eine Kleinigkeit. Ich möchte
die Seele des erstgeborenen Kindes, das dir eine Frau gebiert."
Eduards Gedanken rasten damals. Kielholen und dabei sterben oder die
Seele eines einzigen Kindes dagegen verkaufen. Er wägte ab, doch was
wäre schon Schlimmes dabei. Wenn er kein Kind bekäme, würde der Andere
leer dabei ausgehen, so schlug er ein. Das Schiff kehrte in seine
frühere Position zurück und der wiederholte Mastwurf gelang problemlos.
Eduard quittierte an diesem Tag seinen Dienst und reiste in den Süden.
Jahre später gebar ihm seine erste Frau in Braunau einen prächtigen
Sohn. In der Nacht der Geburt erschien der Teufel erneut. Er trat zum
Bett des Kindes und lächelte es kurz an. Dann verschwand er wieder.
Eduard war erleichtert, dass der Teufel das Kind nicht mitgenommen
hatte, denn das hätte er schwerlich erklären können. So verging die
Zeit und er trennte sich von seiner Frau, noch bevor Adolf in die
Schule kam. Seine Reise führte ihn über Italien in den Orient. Hier
lernte er eine Muslimin kennen, mit der er neben Saddam noch fünf
weitere Kinder zeugte. Aber auch mit ihr wurde er nicht glücklich,
nicht nur wegen seiner Affäre mit einer anderen Frau, aus der sein Sohn
Osama hervorging. Als er weiter zog wurde die Welt von einem Krieg
überschattet. Er war weitab des Geschehens doch irgendwann wurde ihm
klar, dass der Verursacher sein Sohn Adolf aus Braunau sein musste. Das
also war des Teufels Plan gewesen. Doch 1945 wendete sich das Blatt und
die Bedrohung verschwand. Eduard atmete damals erleichtert auf und er
lebte die nächsten Jahrzente mal hier mal dort, nicht ohne einige
weitere Kinder in die Welt zu setzen.
Als Saddam sich zum Herrscher aufschwang und mit Raketen um sich
schoss, wurde ihm erst die ganze Bedeutung seines Paktes mit dem Teufel
klar. Gleichzeitig gründete Osama sein Terrornetzwerk Al Kaida. Der
Teufel hatte mit dem ersten Kind nicht auf ihn Bezug genommen sondern
auf die Frau, die es ihm gebar. Das bedeutete, pro Frau ein Kind, also
eine Seele für ihn. Aber diese Erkenntnis kam zu spät. Damielle, eine
Tochter, die er in den 70ern in Frankreich zeugte, wurde zu einer
hervorragenden Biologin. Sie entwarf im Jahr 2012 im Rahmen eines
französischen Verteidigungsauftrages einen Virus, eine tödliche
Mischung aus dem Ebolavirus und H1N1, dem Schweinegrippeerreger. Ein
Virus, der eine Inkubationszeit von 72 Stunden hatte und nach dem
Ausbruch der Krankheit innerhalb von zwei Tagen zum Tod führte. Sie
tränkte mehrere Packungen Papiertaschentücher und ihre Kleidung mit den
Erregern und ging auf ihre letzte Reise: Paris, Frankfurt, Mailand,
London, New York, Chikago, San Francisco, Hawaii, Tokyo, Peking. Sie
ließ an jedem Flughafen einige infizierte Taschentücher zurück und
berührte in den Flugzeugen möglichst viele Mitpassagiere. Der Ausbruch
der Krankheit begann, als sie gerade in das Flugzeug Peking-Bangkog
stieg. Nach drei Wochen waren vier Millionen Menschen gestorben. Nach
sechs Wochen 150 Millionen. Nach sechs Monaten war die Welt entvölkert.
Das Glühen verging und er blickte ins Tal. Ewiges Leben ohne einen
einzigen Menschen. Es fehlten ihm Gespräche, Gespräche mit Tiefgang.
Heute hätte er auch jeden Smalltalk akzeptiert. Es war vollkommen
anders, als er sich Unsterblichkeit vorgestellt hatte. Er hatte auch
aufgehört, Selbstmorde zu begehen, denn erstens tat es jedesmal
höllisch weh und zweitens verheilten manche Verletzungen erst nach
Jahren.
Er lebte unendlich, unendlich einsam.
© 2009 A. Lindermeir
|